„Man muss die kleinen Dinge schätzen lernen“

02.01.2023 - Paul Jöbstl kann erneut auf ein tolles Jahr 2022 zurückblicken. Neben zwei Medaillen bei der Dressur-Europameisterschaft in Hartpury wusste der 19-Jährige in seinem ersten Jahr bei den Jungen Reitern zu begeistern. Gemeinsam mit seinen beiden Schwestern ist der in der Steiermark aufgewachsene Dressurreiter, der als besonders ehrgeizig sowie zielstrebig gilt, viel auf internationalen Turnieren unterwegs und repräsentiert Österreich mit großem Stolz, auch wenn er lange Zeit in der Schweiz gelebt hat. „Was mich an der Dressur so fasziniert, ist das harmonische Bild zwischen Reiter und Pferd und das Streben nach Perfektionismus“, erklärt die große Nachwuchshoffnung.

In einem ausführlichen Interview gibt Paul Jöbstl nun spannende Einblicke.


Ein intensives Jahr mit vielen Highlights ist nun Geschichte. Wie fällt deine persönliche Jahresbilanz aus?
Paul Jöbstl: Meine Jahresbilanz fällt überdurchschnittlich gut aus. Bodyguard und ich hatten einen sehr guten Start, das hat sich über die letzten Monate durchgezogen. Es war unser erstes Jahr bei den Jungen Reitern. Ich habe nicht erwartet, dass ich so schnell Fuß fassen kann. Die Vorbereitung auf die neue Saison war sehr gut, da haben wir noch einmal an den Basics gearbeitet. Das hat sich bezahlt gemacht. In der Qualifikation für die Europameisterschaft ist es auch sehr gut gegangen – dort konnte ich wieder zwei Medaillen gewinnen. Und Ende November gab es in Aachen einen super Saisonabschluss. Ich würde sagen, dass 2022 das letzte Jahr übertroffen hat. Ich bin extrem stolz, auf das, was wir erreicht haben. Bei der EM ist alles so schnell gegangen, es läuft wie in einem Film ab. Ich habe das alles erst zu Hause richtig realisiert. Ich schaue mir die Ritte immer noch gerne an, es sind schöne Erinnerungen und ich verbinde damit viele positive Emotionen.

Du hast deinen Sportpartner Bodyguard angesprochen. Es wirkt alles so harmonisch und nach einer tollen Wechselbeziehung. Ist das in der Praxis auch so?
Jöbstl: Bodyguard ist ein ganz spezielles Pferd, der jetzt knapp zwei Jahre bei mir ist. Als ich ihn das erste Mal gesehen habe, hat die Chemie zwischen uns in Deutschland gleich super gepasst. Ich habe mich sehr wohl gefühlt und es ist ein einzigartiges Reitgefühl. Vom Charakter her, ist er ein unglaublicher Gentleman, außer wenn seine Hormone im Weg stehen – da kommt dann ein bisschen der Hengst raus (lacht). Manchmal habe ich das Gefühl, dass er sich seiner Schönheit selbst auch bewusst ist, das zeigt er dann auch. Die tagtägliche Arbeit mit ihm macht richtig viel Spaß und es gibt keinen Tag, wo er keinen Bock hat. Er gibt für seinen Reiter immer alles und ist extrem motiviert. Wenn er nicht zur Siegerehrung darf, merkt man, dass er nicht zufrieden ist. Da passt er vom Ehrgeiz her perfekt zu mir.

Gibt es den schönsten bzw. emotionalsten Moment für dich?
Jöbstl: Die beiden letzten Europameisterschaften mit Bodyguard und die Medaillengewinne waren in der Tat etwas Besonderes. Solche Momente prägen. Ich bin aber davor mit Dunkelbunt – den haben ich mit meiner Mutter und meinen Trainern von der Klasse A bis S ausgebildet – und Coco Procol Harum auch schon andere Pferde geritten. Da habe ich mich auch schon immer über schöne Prüfungen gefreut, wenn wir unsere Ziele erreicht haben. Auch mein erstes EM-Finale 2020 ist mir gut in Erinnerung geblieben. Es müssen nicht immer die großen Momente sein, man muss sich auch an den kleinen Dingen erfreuen können. Das weiß ich sehr zu schätzen und das begleitet mich auf meinem Weg. Das hilft mir persönlich sehr. Man muss sich in kleinen Schritten selbst belohnen.

Aktuell bist du Teilnehmer des „Programme of Excellence“ in Aachen. Wie kam es dazu?
Jöbstl: Das kam für mich etwas unerwartet. Eine Woche bevor es losging, habe ich einen Anruf erhalten. Ich habe das im letzten Jahr über Social Media und die Medien schon verfolgt. Es war für mich schnell klar, dass ich diese Chance ergreifen möchte. Mit Isabell (Anm.: Werth) zu trainieren ist wirklich etwas Spezielles, vor allem aber lehrreich. Am Anfang hatte ich ein wenig Angst, da ich niemanden gekannt habe – das ist aber schnell verfolgen. Es ist echt eine coole Truppe mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus der Dressur und dem Springen. Der Aufwand mit den sechs Trainingsblöcken ist zwar enorm (Anm.: einmal im Monat gibt es einen Kurs in Aachen). Neben dem klassischen Training mit unseren Pferden gibt es auch Mental- sowie Medientraining. Ich habe schon sehr viele spannende Ansätze mitnehmen können und versuche die Erkenntnisse einzubauen.

Viele jungen Sportler:innen haben ein Idol, an dem sie sich orientieren. Gibt es für dich ein Vorbild?
Jöbstl: Ich bin schon lange am Suchen, würde das aber nicht an einer Person festmachen. Ich versuche mir von den verschiedenen Reiterinnen und Reitern gewisse Parameter herauszupicken. So ist beispielsweise Isabell Werth, was sie als Pferdemensch erreicht hat, bewundernswert. Ich möchte mich aber eher an den männlichen Reitern orientieren. Gareth Hughes reitet sehr fein. Es ist ganz wichtig, dass man als Mann auch zu den Pferden lieb ist. Klingt zwar extrem, aber wenn man zu viel Kraft einsetzt, schaut das öfters ‚brutaler‘ aus – auch wenn es das nicht ist. Es soll in jeder Phase harmonisch wirken. Man muss die Kraft und seinen Körper bewusst einsetzen und eine gewisse Sensibilität an den Tag legen. Ich versuche selbst Vorbild für die noch jüngeren Reiterinnen und Reiter zu sein, das ist mein Antrieb und so will ich mich jeden Tag verhalten.

Mit Elastico habt ihr unlängst Zuwachs bekommen. Welche Gedankengänge stecken da dahinter?
Jöbstl: Wir haben über einen längeren Zeitraum nach einem Pferd gesucht, mit dem ich in die U25-Tour einsteigen kann. Zuerst haben wir die Augen nach einem talentierten jungen Pferd, das wir selbst ausbilden, offengehalten, dann haben wir uns aber umorientiert. Am Ende haben wir einen Lehrmeister für mich gesucht. Mit Elastico kann ich lernen, wie man Grand Prix reitet und wie sich die Bewegungen anfühlen. Das sind wichtige Erfahrungswerte, die mir in der Zukunft helfen werden. Irgendwann will ich meine Pferde selbst bis zum Grand Prix ausbilden. Als ich Elastico in Dänemark erstmals gesehen habe, war ich schnell verliebt. Ich bin sehr dankbar, dass er nun bei uns ist. Ich habe großen Respekt davor, was er mit seinen vorherigen Reiterinnen und Reitern erreicht hat – er ist immerhin zweifacher Europameister in der U25. Ich will mit ihm langsam in die U25-Tour hineinwachsen. Ganz ohne Erfolgsstress und Druck. Das ist mein Ziel.

Apropos Zielsetzung. Was steht da bei dir noch am Zettel?
Jöbstl: Kurzfristig, sprich 2023, möchte ich erfolgreich in die U25-Tour einsteigen und einen weiteren Entwicklungsschritt setzen. Langfristig gesehen, habe ich mir auch etwas in den Kopf gesetzt. Wenn man eine olympische Sportart ausübt, möchte man dort natürlich irgendwann einmal hin. Somit wären für mich die Olympischen Spiele in Los Angeles 2028 erstmals ein Thema. In Österreich hat sich in puncto Dressur in den letzten Jahren viel entwickelt, wir haben ein starkes Team und viel Potential. Daher schaue ich mir auch jeden Ritt der Erwachsenen an. Ich bin noch in einem Lernprozess. Bevor ich mich aber mit Los Angeles intensiver auseinandersetze, habe ich noch viele Hausaufgaben zu machen und muss in Richtung Grand Prix noch richtig gut reiten lernen. Den Rest kann man nicht planen, das lasse ich dann auf mich zukommen. Wichtig ist, dass ich konsequent weiterarbeite und meinen Weg gehe.

Du bist ja aktuell fast den ganzen Tag im Stall. Bleibt da noch Zeit für etwas anderes?
Jöbstl: Aktuell bleibt nicht viel Zeit. Ich bin ziemlich ausgelastet mit meinen Pferden. Für Treffen mit meinen Freunden bleibt aber immer Zeit, da kann ich ein bisschen abschalten und komme auf andere Gedanken. Da habe ich meine Zeit in der Schweiz immer sehr genossen. Wir haben in der Nähe vom Zugersee gewohnt. Der Stall ist somit mitten in der schönen Natur, da kann man gut die Seele baumeln lassen. Das habe ich sehr genossen, zumal man immer einen idyllischen Blick auf die Alpen gehabt hat. Das hat mir für mein Tun immer sehr viel Kraft gegeben. Aber auch hier in Wien gibt es schöne Plätze, die ihre Vorzüge haben. Nach meiner abgeschlossenen Matura habe ich das Bundesheer absolviert und helfe nun regelmäßig in der Speditionsfirma meines Vaters (Anm.: seit kurzem werden auch Pferdetransporte abgewickelt) aus. Im Herbst 2023 will ich dann mit dem Studium beginnen, da muss ich mir dann bewusst Zeit freischaufeln.

Gibt es irgendeine Schlagzeile, die du gerne über dich lesen möchtest?
Jöbstl: Das ist eine gute Frage. Wenn ich meinen Weg so weitergehe, werden hoffentlich noch viele positive Schlagzeilen folgen (lacht). Ich arbeite jedenfalls daran. Den Rest überlasse ich den anderen.

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