Max-Theurer zur FEI-Generalversammlung: „Ehrlich gesagt, war das sehr enttäuschend“

10.11.2025 - Interview mit Elisabeth Max-Theurer, Präsidentin des Österreichischen Pferdesportverbandes (OEPS), über die umstrittene Änderung der „FEI-Blood-Rule“, die mangelnde Demokratie im Weltreiterverband FEI, die Zukunft des Pferdesports bei Olympia und das unumstößliche heimische Bekenntnis zum Tierwohl.


Frau Max-Theurer, die FEI hat in Hongkong mit großer Mehrheit beschlossen, die sogenannte „Blood Rule“ im Springreiten zu lockern. Künftig darf bei geringfügigen Blutungen weitergeritten werden. Wie beurteilen Sie diese Entscheidung?
Elisabeth Max-Theurer: Ich halte das für einen klaren Rückschritt. Diese Änderung ist weder im Sinne des Pferdes noch des Sports. Blut – insbesondere im Bereich von Maul oder Flanken – darf im Pferdesport niemals als akzeptabel gelten. Wenn ein Pferd durch Reitereinwirkung blutet, ist das ein Zeichen dafür, dass etwas nicht stimmt. Dann muss der Schutz des Pferdes Vorrang haben – und nicht die Fortsetzung des Wettbewerbs.

Was bedeutet das für den Österreichischen Pferdesportverband (OEPS)?

Max-Theurer: Wir werden unseren Weg beibehalten. In Österreich gilt weiterhin: Blut am Maul oder an den Flanken führt zum sofortigen Ausschluss. Das Wohl des Pferdes steht über allem. Und wir werden das auch so kommunizieren. Ich halte es für unsere Pflicht, hier ein Zeichen zu setzen. Der Pferdesport darf sich nicht von seiner ethischen Basis entfernen. Wir müssen zeigen, dass sportlicher Erfolg und Tierwohl kein Widerspruch sind. Nur so können wir glaubwürdig bleiben – gegenüber der Öffentlichkeit, den Sponsoren und vor allem gegenüber den Pferden selbst.

Die FEI argumentiert, die neue Regel bringe „mehr Transparenz und Objektivität“ und verbessere den Tierschutz. Was entgegnen Sie darauf?
Max-Theurer: Das ist reine Kosmetik. In Wahrheit bringt diese Regelung eine zusätzliche Belastung für alle Beteiligten – für die Ground Jury, für die Stewards, für die Veranstalter und die Reiterinnen und Reiter. Sie schafft keine Klarheit, sondern Grauzonen. Statt eines sofortigen Ausschlusses gibt es künftig Verwarnungen, Eintragungen ins „FEI Warning Register“ und bei Wiederholung Sperren und Geldstrafen. Das klingt streng, ist aber in der Praxis kaum kontrollierbar und lenkt von der eigentlichen Frage ab: Warum wird ein Pferd überhaupt mit Blut am Körper im Wettbewerb gesehen? Es ist ein schlechtes Signal nach außen. Der Pferdesport steht ständig im Fokus der Öffentlichkeit. Wenn nun der Eindruck entsteht, dass Blut „bis zu einem gewissen Grad“ toleriert wird, gefährdet das das Vertrauen in unseren Sport massiv.

Sie waren bei der FEI-Generalversammlung in Hongkong vor Ort. Wie ist dieser Beschluss zustande gekommen?
Max-Theurer: Ehrlich gesagt, war das sehr enttäuschend. Viele führende europäische Pferdesportnationen – darunter Deutschland, die Schweiz, Dänemark, Schweden, die Niederlande und auch Österreich – haben sich klar gegen die Aufweichung ausgesprochen. Trotzdem wurde sie mit 56 Für- und 20 Gegenstimmen beschlossen. Das ist ein klares Zeichen, dass die demokratische Balance innerhalb der FEI aus dem Gleichgewicht geraten ist. In der FEI hat heute jedes Mitgliedsland – egal ob Frankreich mit 11.204 registrierten Turnierpferden und 5.391 registrierten Athletinnen und Athleten oder zum Beispiel Angola oder Äthiopien mit null registrierten Pferden und Athleten – genau eine Stimme. Das ist absurd. Länder ohne nennenswerte Pferdesportaktivität entscheiden über Regelungen, die den Kern unseres Sports betreffen.

Das klingt, als würden Sie die Legitimität der Abstimmung infrage stellen.
Max-Theurer: Ich stelle nicht die Abstimmung selbst infrage – aber die Struktur dahinter. Das hat mit echter Demokratie nichts zu tun. Wir brauchen dringend eine Reform des Abstimmungssystems. Der internationale Skiverband FIS hat das vorgemacht: Dort sind die Stimmen nach Größe und Bedeutung der Verbände gewichtet. Die europäischen Pferdesportnationen tragen die Verantwortung, finanzieren große Teile des Systems: Die gesamte EEF hat 59.096 registrierte Pferde und 28.136 Athleten aber nur 42 Stimmen. Alle anderen Gruppen der Welt haben insgesamt 18.541 registrierte Pferde und 13.785 Athleten. Das ist ein Drittel aller Aktiven und ein Viertel aller Pferde, die aber gemeinsam auf 92 Stimmen kommen. Solange diese Schieflage besteht, kann man von „demokratischen Entscheidungen“ im eigentlichen Sinn nicht sprechen. Das gefährdet die Glaubwürdigkeit der FEI nachhaltig. Außerdem ist in Europa Tierschutz Gott sei Dank ein sehr wichtiger Faktor. In vielen stimmberechtigten Ländern haben Menschenrechte keinen hohen Stellenwert – und Tierschutz dann wohl schon gar nicht oder umso weniger.

Was bedeutet diese Entwicklung für den Pferdesport insgesamt?
Max-Theurer: Sie gefährdet langfristig die Akzeptanz unseres Sports – und damit auch seine olympische Zukunft. Wenn der Weltverband Beschlüsse fasst, die das Tierwohl schwächen, dann liefert er all jenen Argumente, die den Pferdesport ohnehin aus dem olympischen Programm drängen wollen. Wir müssen uns bewusst sein: Pferdesport kann nur überleben, wenn die Gesellschaft sieht, dass das Pferd unser Partner ist – nicht ein Mittel zum Zweck. Jede Regel, die diesen Grundsatz verwässert, ist gefährlich. Ich sage es offen: Wenn die FEI so weitermacht, verlieren wir irgendwann den olympischen Status für Springreiten, Dressur und Vielseitigkeit – und bei den Paralympics für die Paradressur. Der Druck auf das IOC wächst, Sportarten mit Tierbeteiligung kritisch zu prüfen. Deshalb ist jede Schwächung des Tierschutzes ein Schritt in die falsche Richtung.

Was erwarten Sie nun konkret von der FEI?
Max-Theurer: Zuerst einmal Ehrlichkeit. Man kann nicht einerseits in jedem Satz „Horse Welfare“ predigen und gleichzeitig Regeln beschließen, die genau das Gegenteil bewirken. Wir fordern eine einheitliche, disziplinübergreifende Regelung, die in allen FEI-Sportarten gilt und die Blut grundsätzlich an Maul und Flanken nicht toleriert! Außerdem muss über eine gerechtere Stimmgewichtung ernsthaft diskutiert werden. Nur so kann die fachliche Kompetenz wieder Gewicht bekommen. Europa ist das Zentrum des Pferdesports – sportlich, organisatorisch und ethisch. Wenn unsere Stimme nichts mehr zählt, dann läuft etwas grundlegend falsch.

Zum Abschluss: Gibt es auch etwas Positives, das Sie aus Hongkong mitnehmen konnten?
Max-Theurer: Natürlich. Es gibt immer Fortschritte – etwa beim digitalen Pferdepass oder bei der Organisation künftiger Großveranstaltungen wie der Weltreiterspiele in Aachen 2026 oder den Olympischen Spielen in Los Angeles 2028. Aber diese technischen Entwicklungen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Fundament bröckelt. Ohne klare ethische Leitlinien nützen uns die besten Systeme nichts.

Zitat Elisabeth Max-Theurer, Dressur-Olympiasiegerin:

„Das Pferd ist Partner, kein Sportgerät. Wenn wir das vergessen, verlieren wir mehr als nur unseren Platz bei Olympia – wir verlieren den Kern unseres Sports.“

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